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 Galka Scheyer - Ein Leben für Kunst und Kreativität  

  Biographie der Malerin und Kunstagentin von Gilbert Holzgang

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Galka Scheyer - Ein Leben für Kunst und Kreativität

Gilbert Holzgang: Galka Scheyer - Ein Leben für Kunst und Kreativität

Michael Imhof Verlag, Petersberg 2023, Großformat, Hardcover, 345 Seiten, 290 Abbildungen,  ISBN 978-3-7319-1366-5, EUR 49,95.

© Buch-Cover: Michael Imhof Verlag

Der Autor: Gilbert Holzgang, *1949, Lic.rer.pol. Universität Bern, Schauspieler, Dramaturg, Regisseur, Gründer des Theater Zeitraum Braunschweig.

 

Wer sollte sich für die Malerin und Kunstagentin interessieren? Jeder, der sich mit Kunst des 20. Jahrhunderts beschäftigt: Kunsthändler mit Werken des Expressionismus und der Bauhaus-Künstler, Kunstbibliotheken, Kunsthistoriker, Kunstsammler. Last not least ist das Buch ein Ideen-Geber für jeden Kunstagenten.

Aufbau: Leben und Wirken der Kunstagentin werden chronologisch in unterschiedlich langen Zeitabschnitten von 1889 an geschildert. Jedes Text- oder Bild-Zitat wird belegt in einem ca. 1.600 Quellen umfassenden Register und einer Bibliographie. Das Personenregister zeigt die ungeheure Bandbreite an Menschen, die Scheyer kontaktierte oder traf, um ihr wesentliches Ziel, die Blauen Vier und deren Umfeld in Europa und vor allem in den USA bekannt zu machen. Darüber hinaus gelingt es dem Autor, das Leben der Scheyer in die Verstrickungen von Politik und Gesellschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis hin zum heutigen Kunstmarkt einzubetten. 
 

Inhalt: Ein Leben zwischen Braunschweig und Los Angeles. In jahrelanger, detailversessener Recherche hat es Gilbert Holzgang verstanden, das Wirken der selbst Kunsthändlern oft unbekannten Emilie Esther Scheyer (1889-1945), genannt Emmy, anhand von Bildern, Briefen, Fotografien, Tagebüchern und sonstigen Dokumenten bis in kleinste Details aufzuzeichnen. 

Geboren als Tochter eines gut situierten, jüdischen Dosenfabrikanten in Braunschweig gehörte Kultur zum täglichen Leben. Scheyer begann zu malen, meistens mit der Signatur "Renée". Schon früh entfloh sie dem Elternhaus, mit 16 Jahren fuhr sie nach England, Frankreich folgte, lebte in Brüssel, ging 1916 nach Zürich, um Bildhauerei, Malerei und Musik zu studieren. Dort lernte sie den Russen Alexej von Jawlensky kennen. Das war der entscheidende Wendepunkt in ihrem Leben. Malen war fortan nicht mehr ihr Metier, nach dem 1. Weltkrieg hatte sie nur noch eine einzige Ausstellung. Als "Muse" Jawlenskys begann sie, ihn zu vermarkten. Er nannte sie "Galka", das russische Wort für "Dohle", weil sie eine so durchdringende Stimme hatte. Diesen Namen nahm sie an, korrespondierte deutschlandweit mit Galeristen und Museen, hielt Vorträge, sah sich selbst als "Prophetin und Ministerin Jawlenskys".

Jawlensky machte sie mit Paul Klee bekannt, Lyonel Feiniger lernte sie in München kennen (später stelllte sie ihm ihr Haus in Los Angeles zur Verfügung). Die Bilder Wassily Kandinskys sah sie vermutlich 1923 auf der Bauhaus-Ausstellung in Weimar. Und sie begann mit der Vermarktung der Künstler.

1924 gründete sie mit den vier Malern die Verkaufsgemeinschaft "Die Blauen Vier". Als Kunstagentin der ersten Stunde wob sie ein Marketingnetz, das zur damaligen Zeit seines Gleichen sucht. Und das als Frau! Im selben Jahr noch zog sie nach New York und weiter nach Kalifornien, gab der Gruppe den Namen "The Blue Four". In ihrem Haus in Santa Monica Mountains, hoch über Los Angeles, wo sie nur 56jährig starb, zeigte sie Kunstsammlern und Galeristen die Werke. Um die Maler bekannt zu machen, schrieb sie beispielsweise aus öffentlichen Bibliotheken 1.000 Adressen von US-Universitäten, Museen und Bibliotheken ab, ließ einen Rundbrief über The Blue Four drucken und verschicken. Darin bot sie Ausstellungen und Vorträge an. Wie vielschichtig sie in der Promotion war, zeigt sogar der Name der Straße, in der sie sich von einem renommierten Architekten ein Haus bauen ließ, und behauptete, ihn durchgesetzt zu haben: "Blue Heights Drive".

Es blieb nicht bei den 4 Blauen. 1927 organisierte sie die Ausstellung "European Modernists" im Los Angeles Museum, in der die gesamte Avantgarde vertreten war. Ihr gehörten die Bilder, sie hatte sie in die USA schicken lassen. Heute hoch gehandelte Namen wie Archipenko, Dix, Kirchner, Kokoschka, Lehmbruck, Nolde, Schmidt-Rottluff und weitere, dazu Franzosen wie Derain, Léger, Maillol, Matisse. Diese Auswahl zeigt, welch feines Gespür Scheyer für die Zukunft der Malerei hatte.

Das Reisen blieb für sie lebenserhaltend. So schiffte sie sich beispielsweise nach Bali ein, bezahlt von der Oakland Art Gallery, um eine Sammlung balinesischer Kunst zusammenzustellen. 1931 erhielt sie den amerikanischen Pass und konnte nach Mexiko, traf dort Frida Kahlo. So schaffte sie es, selbst in Mittelamerika eine Ausstellung der The Blue Four zu arrangieren.

An Sylvester 1932/33 besuchte Scheyer ihre Familie in Braunschweig - wenige Tage später, am 30. Januar 1933, übernahm Hilter die Macht. Moderne Kunst war jetzt "entartet", die Werke der von der jüdischen Kunstvermittlerin gemanagten Künstler wurden verboten. Im Mai 1933 packte sie die Koffer voll mit Bildern und fuhr zurück nach Los Angeles, arrangierte eine Ausstellung der The Blue Four. Es sollte die letzte Präsentation sein. Sie blieb in Hollywood bis zu ihrem Tod 1945.

Auch auf eine andere Seite Galka Scheyers geht der Autor ein, die der Vermittlerin von Kunst an Kinder. Sie traf sich mit Kindern und Jugendlichen zum freien Malen und etablierte damit eine in den USA völlig unbekannte Art der Kunstpädagogik, ohne je den Zeigefinger zu erheben. Sie ließ die Kinder zu ihren Bildern reden und notierte das Gehörte auf den Rückseiten der Bilder. Einige dieser Kinder-Bilder sind im Norton Simon Museum in Pasadena, das ein umfangreiches Erbe der Scheyer in The Blue Four Galka Scheyer Collection verwaltet.

Als Händlerin war die als extravagant und schrill bezeichnete Dame nicht immer erfolgreich, als Strippenzieherin um so mehr. Sie hat ihr Netz in der Gesellschaft, hüben wie drüben, stetig erweitert, kannte bald die wichtigsten Filmer, Musiker, Kunstmäzene, Sammler und Galeristen. Ihre Wirkung zeigt sich heute - 2023 wechselte ein Jawlensky den Besitzer für mehr als 6 Millionen Euro auf einer Ketterer-Auktion. 

Als Beispiel aus Scheyers Frühzeit sei die Bekanntschaft zum nebenan in Braunschweig wohnenden gleichaltriger Künstler genannt: Götz von Seckendorff. Der Autor weist mit Zitaten und Bildern auf diesen früh Verstorbenen hin, u.a. mit dem Frühwerk "Silberdistel".

Götz von Seckendorff, Silberdistel 1909

Abbildung S. 22: Götz von Seckendorff, Silberdistel, 1909, Öl auf Pappe, 31 x 40 cm, Werkverzeichnis Gemälde 09-01. © Foto: privat, Privatbesitz Zürich

Kritik zu Galka Scheyer - Ein Leben für Kunst und Kreativität

Wer sich jemals für die Kunst-Epoche zwischen den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert interessiert, für den ist dieses Buch ein Muss. Klärt es doch nicht nur über die faszinierende Person auf, die als erste Kunstagentin gilt, sondern berührt die gesamte Zeit zwischen den Kriegen, ihrer Kunst und ihrer Gesellschaft. Alles, was Autor Holzgang zitiert oder beschreibt, belegt er mit Quellen. Wer den Titel einmal hinten aufschlägt und die Namensliste durchforstet, erkennt spätestens dann, welches Netzwerk Galka Scheyer wob in Zeiten, in denen es noch kein Internet gab. Eine für ihre Zeit ungeheuer vorausschauende Frau, die es schaffte, dass Künstler, die sie promotete, heute millionenschwer sind. Es ist Zeit, Galka Scheyer vor dem Vergessen zu bewahren. 

Die manchmal überlangen Nebenschauplätze hindern mitunter den Lesefluss, sind jedoch für das Gesamtbild der Zeit und ihrer Menschen unumgänglich. Schade, dass es kein Verzeichnis der Abbildungen gibt. Denn nun muss der Leser, will er ein Foto, eine Zeichnung oder ein Gemälde noch einmal sehen, durch mehr als 300 Seiten blättern. Gerade die Vielzahl an Bildern - knapp 300 - macht diesen Titel oberdrein zu einem Gesamtkunstwerk.  Götz v. Seckendorff, Aquarell Tanzendes Paar

 

Abbildung S. 41, Götz von Seckendorff, Tanzendes Damenpaar, 1911, Aquarell/Feder auf Papier, 33 x 25,3 cm. Signatur unten rechts, Werkverzeichnis Grafik 11-016, © Städtisches Museum Braunschweig

 

Fazit: Die Biographie Galka Scheyer - Ein Leben für Kunst und Kreativität - ist dem Kunst-Freund, -Sammler, Kultur-Interessierten und Kunstmanager zu empfehlen, der mehr als die erste Kunstagentin und ihr Umfeld entdecken möchte. Mehr als 2 kg schwer, hochwertig ausgestattet, mit tadellosem Druck und Fadenbindung darf dieses Buch als erstklassig bezeichnet werden.

Am schnellsten geht es, wenn Sie das Buch direkt im Imhof-Verlag: Galka Scheyer bestellen.

Sonderausstellung Galka Scheyer 23.2.-19.5.2024 in Braunschweig

Vom 23. Februar bis zum 19. Mai 2024 zeigt das Städtische Museum Braunschweig eine große Sonderausstellung zur Kunstförderin Galka Scheyer und die revolutionäre Kunst der "Blauen Vier". Rund 140 Werke – darunter Gemälde und Grafiken von Feininger, Jawlensky, Kandinsky, Klee und von Scheyer selbst – sind zu bewundern oder zu entdecken.

Dazu erschien der Katalog Galka Scheyer und Die Blaue Vier - Lyonel Feininger, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Paul Klee. Peter Joch, Bianca Strauß [Hg] für das Städtische Museum Braunschweig. Hirmer-Verlag, 288 Seiten, 230 Farb-Abbildungen, 23,5 × 28,5 cm, gebunden, ISBN: 978-3-7774-4332-4, EUR 49,90

Autor: Gerda v. Radetzky, Web-Texte.

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